Zahnimplantate im Alter: Expertin fordert anpassungsfähige Versorgungen
„Wir sehen heute zunehmend ältere Patientinnen und Patienten, deren Implantate seit mehr als 30 Jahren erfolgreich und intakt sind“, sagt Professor Frauke Müller. Dies ist die gute Nachricht, ebenso die Tatsache, dass implantatgetragener Zahnersatz auch bei betagten Patienten mittlerweile zum modernen Therapiespektrum gehört, um die Kaufunktion zu erhalten. Denn diese ist nicht nur für eine gesunde Ernährung wichtig, sondern auch für das Training der Kaumuskeln und die Kognition.
Die Kehrseite der Vorteile
Allerdings haben die Vorteile der Implantate auch eine Kehrseite wenn ihre Träger älter werden. „Implantate ändern sich nicht – im Gegensatz zu der Umgebung, in die sie eingepflanzt wurden“, sagt Professor Müller. Beim Alterungsprozess ändern sich Physiologie und mit dem Knochenschwund auch die Anatomie im Mund. Wenn Seh- und Tastvermögen sowie die Geschicklichkeit schwinden, fällt älteren Menschen die Mundhygiene zunehmend schwerer. Werden Implantatträger zu Pflegefällen, sind die Pflegekräfte ebenfalls oft mit der Mundhygiene überfordert. Wenn sich dann Zahnbeläge anhäufen, wächst das Risiko für eine Lungenentzündung, wenn keimbeladener Speichel in die Bronchien gelangt.
Dass Patienten ihre prothetische Versorgung unabhängig handhaben und reinigen können, müsse zu einem zusätzlichen Erfolgskriterium einer Implantatversorgung werden, fordert Professor Müller. „Wir brauchen darum in der Implantologie einfach veränderbare und reversible Lösungen“, betont die Expertin. Wir tragen ja auch nicht ein Leben lang dieselbe Brille. Eine festsitzende implantatgetragene Rekonstruktion müsse so konstruiert werden, dass sie in eine herausnehmbare Versorgung umgewandelt werden kann, deren Verankerung kontinuierlich den Erfordernissen angepasst wird und zunehmend leichter zu handhaben ist.
Wenn festsitzender Zahnersatz zum Stress wird
Sitzt der Zahnersatz zunächst fest etwa auf einem implantatgetragenen Steg, kann er bei Bedarf mit einfacheren Halte-Elementen befestigt werden – mit Kugelkopf-Ankern, sogenannten Locatoren oder leicht lösbaren Magnet-Verbindungen. „Die weitverbreitete Annahme, dass Patienten einen maximal festsitzenden Zahnersatz bevorzugen gilt nicht für gebrechliche Senioren“, sagt Professor Müller. „Diese Menschen werden durch einen sehr festsitzenden und daher schwer herausnehmbaren Zahnersatz eher gestresst.“ Es sei darum die Aufgabe der Zahnärztinnen und Zahnärzte, den Zahnersatz kontinuierlich an die jeweiligen Fähigkeiten eines Patienten so anzupassen, damit dieser eine Versorgung autonom handhaben könne.
Die modernen Verfahren der CAD/CAM-Konstruktion von Zahnersatz können dieses Vorgehen erleichtern. Mit ihrer Hilfe lassen sich auf der Basis gespeicherter Daten wiederholt ähnliche, aber einfachere Dentalprothesen zu geringen Kosten herstellen, ohne dass erneut ein Abdruck genommen werden muss. „Wenn Patienten eine implantatgetragene Prothese nicht mehr tragen wollen oder können, beispielsweise wenn die Schleimhaut aufgrund einer Chemotherapie sehr empfindlich wird, dann müssen wir die Implantate auch „schlafen legen“ können, damit die Aufbauten nicht stören und sich die Patienten nicht verletzen können“, sagt Professor Müller. Um diesen Zeitpunkt nicht zu verpassen ist es wichtig, die Patienten nicht aus der Betreuung zu verlieren, und sie auch weiter zu betreuen, wenn sie pflegebedürftig werden.
Die Referentin
Prof. Dr. Frauke Müller ist Leiterin der Division für Gerodontologie und abnehmbare Prothetik der Universität Genf. Aufgrund ihrer „aussergewöhnlichen Leistungen in der Medizin“wurde sie im vergangenen Jahr als Einzelmitglied in den Senat der Schweizer Akademie der Wissenschaften (SAMW) gewählt. Sie ist Präsidentin des European College of Gerodontology (ECG) und der Geriatric Oral Research Group (GORG) der International Association for Dental Research (IADR).