Wie prägen wir uns Neues ein? Unterschiede zwischen Jung und Alt
Wenn wir neue Eindrücke aufnehmen, können bereits die ersten Sekunden darüber Aufschluss geben, ob und wie leicht wir uns später an das Wahrgenommene erinnern können. Denn ganz gleich, ob wir uns eine Vokabel, ein Gesicht oder eine Einkaufliste einprägen: Das Gehirn übersetzt all diese Wahrnehmungen in neuronale Muster, die als Ausgangspunkt des Lernens und der Erinnerung dienen.
Die neuronalen Muster verschiedener Sinneseindrücke können einander ähneln oder voneinander verschieden sein. Frühere Befunde und bekannte Theorien der Alternsforschung legen nahe, dass sich neuronale Muster im Laufe des Erwachsenenalters immer weniger voneinander unterscheiden. Diese zunehmende Ähnlichkeit oder „Dedifferenzierung“ der Hirnaktivität wird deswegen auch als eine mögliche Ursache nachlassender Gedächtnisleistungen angesehen. Andere Studien zeigen wiederum, dass die Ähnlichkeit neuronaler Muster die Abrufbarkeit der Gedächtnisinhalte auch erleichtern kann. Um diese gemischte Befundlage besser zu verstehen, haben Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin jüngere und ältere Erwachsene mit Hilfe der Elektroenzephalographie (EEG) untersucht und die EEG-Daten mit neuesten Analyseverfahren ausgewertet.
Deutliche Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen
Das Ergebnis war überraschend: Der Zusammenhang zwischen Musterähnlichkeit und Erinnerungsvermögen unterschied sich deutlich zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen. Bei den jüngeren Proband*innen ging eine größere Unterschiedlichkeit der neuronalen Aktivierungsmuster mit einer besseren Gedächtnisleistung einher. Bei den älteren Proband*innen war es genau umgekehrt: Sie konnten sich besser an diejenigen Eindrücke erinnern, deren neuronale Muster einander stärker ähnelten.
Für die Studie wurden 50 jüngeren Proband*innen im Alter zwischen 19 und 27 Jahren und 63 älteren Proband*innen im Alter von 63 bis 75 Jahren Wort-Bild-Paare gezeigt, die sie sich einprägen sollten. Anschließend wurden ihnen die Bilder einzeln gezeigt, um zu überprüfen, ob sie sich an das dazugehörige Wort erinnern konnten. Während des gesamten Experiments wurden die neuronalen Aktivitäten der Proband*innen mit EEG aufgezeichnet. Diese EEG-Messungen ermöglichten es, die neuronalen Verarbeitungsprozesse der Proband*innen beim Anschauen der Wort-Bild-Paare auf die Millisekunde genau zu erfassen und als Muster darzustellen.
Die Autor*innen der Studie verglichen in ihren aufwendigen Analysen bei jedem einzelnen jungen und alten Erwachsenen die EEG-Muster von Wort-Bild-Paaren, die die Person sich gut merken konnte, mit den EEG-Mustern jener Paare, die sie sich nicht gut merken konnte. Den älteren Proband*innen blieben vor allem die Paare in Erinnerung, deren EEG-Muster einander ähnelten. Jüngere Proband*innen hingegen konnten sich am besten an Paare erinnern, die deutlich unterscheidbare Muster hervorriefen.
Wichtiger Beitrag zur Gedächtnisforschung
„Von früheren Studien der kognitiven Altersforschung wissen wir, dass die Unterscheidbarkeit neuronaler Muster bei älteren Erwachsenen niedriger ist als bei jüngeren. Wir sind jetzt einen Schritt weiter gegangen und haben untersucht, wie Ähnlichkeit und Erinnerungsvermögen im Alter miteinander zusammenhängen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des alternden Gedächtnisses und zur Gedächtnisforschung im Allgemeinen,“ sagt Verena R. Sommer, Doktorandin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Erstautorin der Studie.
Einen ersten Hinweis auf eine mögliche Erklärung der Altersunterschiede bietet der zeitliche Verlauf der neuronalen Aktivität während des Einprägens der Wort-Bild-Paare. Bei den älteren Proband*innen war die Musterähnlichkeit während der ersten Sekunde ausschlaggebend für spätere Erinnerungsleistung. Bei den jüngeren Erwachsenen war es die Musterunterschiedlichkeit zu einem späteren Zeitpunkt der Betrachtung, die die Erinnerungsleistung vorhersagte. Offensichtlich setzen sich bei jüngeren Erwachsenen im Laufe des Lernens nach und nach Prozesse durch, die Sinneseindrücke unterscheidbar und einprägsamer machen.
„Wir vermuten, dass jüngere Erwachsene sich beim Einprägen auf einzigartige Details konzentrieren und dies zu unterschiedlichen neuronalen Mustern führt. Ältere Erwachsene nehmen eher den generellen Gesamteindruck wahr, was sich dann in ähnlichen neuronalen Mustern niederschlägt“, sagt Myriam C. Sander, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin des ConMem-Projekts, das am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung die Gedächtnisprozesse über die Lebensspanne untersucht. Der Geltungsbereich dieser Überlegungen soll nun in Folgeuntersuchungen überprüft werden.