Politische Verstrickung bei Zahnmedizinern im Dritten Reich besonders hoch
Das Werk ist das Ergebnis einer rund drei Jahrzehnte währenden Beschäftigung des Autors mit der Geschichte der zahnärztlichen Berufsgruppe und ihrer Fachvertreter. Entstanden ist das erste Personenlexikon zu den historisch bedeutsamsten Repräsentanten der Zahnheilkunde.
Es versammelt Zahnärzte, MKG-Chirurgen und Dentisten, die in der Weimarer Republik, dem „Dritten Reich“ und der Nachkriegszeit im deutschen Sprachraum wirkten bzw. hervortraten.
Dabei fokussiert der gerade veröffentlichte erste Band auf Hochschullehrer und wissenschaftlich tätige Fachvertreter. Band 2 soll zum Jahreswechsel erscheinen. Beide Bände umfassen insgesamt mehr als 2.000 Druckseiten.
Da die NS-Zeit einen zentralen Betrachtungszeitraum bildet, thematisiert das Nachschlagewerk bei jeder biografisch erfassten Person auch deren Verhältnis zum Nationalsozialismus. Dabei kommt es in vielen Fällen zu einer erstmaligen politischen Einordnung und in einigen weiteren Fällen zu einer Neubewertung der jeweiligen politischen Rolle. Weitere Schwerpunkte der Biografien bilden die Karrierestationen, die fachlichen und berufspolitischen Leistungen und Publikationen, die Ehrungen und Auszeichnungen sowie die persönlichen Netzwerkstrukturen und Loyalitätsbeziehungen, in welche die einzelnen Fachvertreter eingebunden waren.
Der entstehende Gesamteindruck ist dabei eher verstörend: „Es hat sich gezeigt, dass die Karrieren nach 1933 meist nicht nach fachlichen Kriterien entschieden wurden und dass der Grad politischer Verstrickung unter Zahnärzten deutlich höher war als noch vor wenigen Jahren angenommen“, fasst Groß zusammen. Er sei so hoch wie in der Medizin, in Teilbereichen sogar noch höher. Dabei habe die Medizin immer als Berufsgruppe mit der höchsten Quote an NS-Mitgliedschaften gegolten.
Die schlimmsten Verfehlungen begingen Groß zufolge die Zahnärzte in den KZ sowie diejenigen, die Zwangssterilisationen bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten angeordnet hätten. Eine Divergenz zwischen wissenschaftlicher Leistung und politischem Engagement habe es in etlichen, nicht aber in allen Fällen gegeben – so seien Otto Walkhoff oder Otto Loos überzeugte Nazis gewesen und zugleich bedeutende Wissenschaftler.
Neben den Tätern richtet Groß den Blick auch auf die Opfer des Nazi-Terrors, auf Entrechtete, Vertriebene oder ins KZ Deportierte. Und auch auf Wissenschaftler, die unbeteiligt waren. „Es ist kein klassischer ‚Täterbuch‘. Vielmehr finden alle Erwähnung, die im deutschen Sprachraum Bedeutung erlangten: Täter, Opfer und politisch Unbeteiligte – z.B. auch die Schweizer Zahnmediziner“, stellt Groß klar.
Eine der wichtigsten Lehren für Dominik Groß besteht in der Erkenntnis, „dass Wissenschaft und Politik enger verflochten waren und sind, als wir das an den Universitäten wahr haben wollen“. Forschungsfreiheit sei deshalb ein besonders hohes Gut.