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Parlamentarischer Abend der DG PARO: „Parodontitistherapie personalisiert“

Bild: iStock / zlikovec

Parodontitis ist eine vielfältige Krankheit – die ebenso vielfältig und individuell behandelt werden muss. Mit der jüngst veröffentlichten internationalen Klassifikation parodontaler Erkrankungen steht Zahnmedizinern eine neue Systematik zur Verfügung, die personalisierte Therapien ebenso ermöglicht wie einen effizienteren Einsatz von Ressourcen. Um die Bedeutung der neuen Klassifikation zu diskutieren, lud die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) daher Ende Februar Gesundheitspolitiker, Wissenschaftler sowie Vertreter der Zahnärzte und Krankenkassen zum Parlamentarischen Abend mit dem Thema „Parodontitistherapie personalisiert“ nach Berlin.

Im Fokus der Referenten standen aktuelle Zahlen und Prognosen zu Parodontitis, die zentralen Eckpunkte der neuen Klassifikation sowie ökonomische Aspekte der Volkskrankheit Parodontitis. In der Diskussion zeigten sich die Anwesenden überzeugt: Frühzeitige Aufklärung und umfassende Präventionsarbeit sind der Schlüssel zu einem gesunden Mund.

Prof. Dr. Christof Dörfer, Präsident der DG PARO, betonte in seinem Eröffnungsvortrag, dass Parodontitis eine komplexe Erkrankung sei, die in strukturierte und personalisierte Therapien überführt werden müsse. Die neue Klassifikation parodontaler Erkrankungen biete ein adäquates Fundament für die notwendige Differenzierung, sie sollte jedoch durch weitere Faktoren jenseits therapeutischer Maßnahmen ergänzt werden. Dazu gehörten, so Dörfer auch an die Adresse der Politik, einerseits eine umfangreichere und gezieltere Forschungsförderung. Andererseits seien auch parodontologische Inhalte stärker in der Ausbildung der zahnärztlichen Studierenden zu verankern – eine Gelegenheit dazu biete die neue Approbationsordnung für Zahnärzte. Schließlich müssten Anreize für eine frühzeitige und konsequente Parodontaltherapie geschaffen werden, wozu die Aufnahme der gesamten Therapiestrecke in den Leistungskatalog der GKV einen wesentlichen Beitrag leisten könne.

Behandlungslast bei Parodontitis verschiebt sich

„Warum haben manche Menschen mehr Parodontitis als andere?“ – diese zentrale Frage nach den Ursachen adressierte Prof. Dr. Thomas Kocher gleich zu Beginn seines Vortrags und zeigte sogleich auf: Sozioökonomische Faktoren, Rauchen oder Diabetes sind wesentliche Risikofaktoren für Zahnfleischerkrankungen. Anhand mehrerer Langzeitstudien wies der Parodontologe der Universitätsmedizin Greifswald nach, wie sich die Mund- und Zahngesundheit in Deutschland, aber auch international, in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Der Trend ist eindeutig und spiegelt sich auch in den über die KZBV abgerechneten Zahnextraktionen und Füllungen wider: Deutschland wird mundgesünder, gerade bei Karies hat es insgesamt massive Verbesserungen gegeben. Allerdings findet speziell bei der Parodontitis eine deutliche Verschiebung hin zu älteren Bevölkerungsgruppen statt. Und diese wachsen in den nächsten Jahren weiter. Noch ist unklar, wie mit dieser steigenden Behandlungslast umgegangen werden wird. Abschließend empfiehlt Kocher daher einen Blick nach Japan: Dort wurde trotz einer stark alternden Gesellschaft binnen relativ kurzer Zeit eine enorme Verbesserung in der Behandlung der Parodontitis und somit beim Erhalt der eigenen Zähne bis ins hohe Alter erreicht.

Sehnlich erwartet: Die neue Paro-Klassifikation

Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Universitätsklinikum Bonn, präsentierte den Gästen des Parlamentarischen Abends die wesentlichen Neuerungen der kürzlich veröffentlichten internationalen Paro-Klassifikation. Anhand mehrerer Praxisfälle zeigte Jepsen auf, wie die neue Klassifikation eine erheblich differenziertere Diagnose und damit auch personalisiertere Behandlungen ermöglicht. Die Parodontitis wird nach der neuen Systematik in einer Matrix anhand der beiden Faktoren „Staging“ (Stadium) und „Grading“ (Grad) individuell charakterisiert. Das Stadium zwischen 1 und 4 bezeichnet dabei den Schweregrad und das Ausmaß der Erkrankung sowie die Komplexität der Therapie. Die Grade von A bis C geben Aufschluss über die Progression der Erkrankung sowie weitere Risiken. Die neue Klassifikation war in einem aufwändigen, internationalen Prozess unter maßgeblicher Beteiligung deutscher Experten über mehrere Jahre erarbeitet und konsentiert worden. Seit der letzten Klassifikation im Jahr 1999 hatte es einen enormen Wissenszuwachs sowohl aus epidemiologischen und klinischen als auch aus Grundlagen-Studien gegeben. Eine Aktualisierung wurde dringend erforderlich, so Jepsen, um den aktuellen Wissensstand adäquat in Diagnostik und Therapie der Volkskrankheit Parodontitis zu verankern und Patientenbedürfnisse individueller berücksichtigen zu können. Um die wegweisende Neuerung nun auch in die Praxis zu tragen, wird es ab Sommer 2019 entsprechende Schulungen für die Zahnärzteschaft geben. Ab kommendem Herbst werden VertreterInnen der DG PARO gemeinsam mit weiteren europäischen Experten evidenzbasierte Muster-Therapieleitlinien, ausgerichtet an der neuen Klassifikation zur „personalisierten Parodontologie“, entwickeln, die dann als Vorlagen für nationale Leitlinien genutzt werden können.

Gesundheitsförderung kostet – Ignoranz allerdings noch mehr

Parodontitis und ihre Folgeerkrankungen sind nicht nur unter medizinisch-therapeutischen, sondern auch unter ökonomischen Gesichtspunkten ein schwergewichtiges Thema, wie der ökonom und Zahnmediziner Prof. Dr. Dr. Stefan Listl in seinem Vortrag sehr eindrücklich erläuterte. Europaweit liegen die Behandlungskosten für Erkrankungen der Zähne auf Platz 3, noch vor Atemwegserkrankungen oder Krebs. Hinzu kommen mit der Volkskrankheit verbundene Produktivitätsverluste, etwa durch Ausfallzeiten bei der Arbeit, sowie weitere mögliche Einschränkungen der Patienten, beispielsweise bei der Teilhabe am sozialen Leben. Bei der Frage „Welche Versorgung ist ihr Geld wert?“ gelte es daher, so Listl, Interventionen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Zahnarztpraxis zu berücksichtigen. Im Bereich der Zahnarztpraxis sei etwa die individuelle Parodontal- Therapie kostengünstiger als der Zahnersatz. Integrierte Konzepte, die zum Beispiel Synergien in der Versorgung von Parodontitis und Diabetes nutzen, stellen einen weiteren Interventionspunkt dar. Auf der Ebene von Public Health sind gesundheitspolitische Instrumente einzuordnen, etwa zur gezielten Förderung der Gesundheitskompetenzen in der Bevölkerung. Eine elementare Herausforderung bleibe bei all dem jedoch bestehen: Wie können die Menschen erreicht werden, die nicht zum Zahnarzt gehen? Seinen Vortrag schloss Listl daher mit einem prägnanten Appell im Sinne der Aufklärungsarbeit: „If you think education is expensive, try ignorance“.

Politik sichert Unterstützung zu

Auch Christine Aschenberg-Dugnus, Mitglied des Bundestags für die FDP, wies in ihrem Statement auf die herausragende Bedeutung der Prävention hin. Da die Auswirkungen der Parodontitis in der Bevölkerung nach wie vor zu wenig bekannt seien, kämen der Vorsorge, dem ärztlichen Aufklärungsgespräch wie auch der Motivation der Patienten besondere Bedeutung zu. Die kürzlich veröffentlichten S3 Leitlinien Parodontitistherapie und die neue Klassifikation leisteten schon einen wichtigen Beitrag, um im Zusammenspiel von Arzt und Patient gezielter und individueller behandeln zu können, so Aschenberg-Dugnus. Im Hinblick auf die nötige Förderung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung sichert sie den Zahnmedizinern ihre Unterstützung zu. MdB Dietrich Monstadt (CDU) bewertete die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland als gut, wies aber gleichzeitig auf aus seiner Sicht notwendige Verbesserungen hin. So fehle ihm, der in seiner Fraktion Berichterstatter sowohl für die Themen Zahnmedizin als auch Diabetes ist, bei der Debatte um Zuckerkonsum eine klare Positionierung der Zahnärzteschaft. Die Frage, welchen Einfluss Zucker auf die Erkrankung Parodontitis ausübt, werde kaum adressiert. Zudem gab er der Zahnärzteschaft den Auftrag mit auf den Weg, sich bei der von der Regierungskoalition geplanten Reform des Präventionsgesetzes mit neuen Ideen einzubringen und so die Verhinderung von Erkrankungen weiter zu fördern.

Prävention ist das A und O

Das Thema Prävention stand auch im Fokus der abschließenden Diskussionsrunde. Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der BZäK, betonte die Bedeutung von individuellen Strategien zur Verhaltensveränderung, um die Patienten mit den richtigen Botschaften auch wirklich erreichen zu können. Jenseits von bevölkerungsweiten Kampagnen sieht er dabei auch die Zahnärzteschaft selbst in der Pflicht, entsprechende pädagogische und psychologische Ansätze in die Aus- und Fortbildung der Profession zu integrieren. Martin Hendges, stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der KZBV, attestierte der Zahnheilkunde die Weltmeisterschaft in der Präventionsarbeit, wodurch der Wert der Vorsorge fest im Bewusstsein der Patienten verankert worden sei. Gleichzeitig sieht auch er gerade in der Primärprävention weiteren Handlungsbedarf. Im Bereich der Therapie müsse die

systematische Behandlung von Parodontopathien an die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst werden. Aktuell sei man im Gemeinsamen Bundesausschuss mit Unterstützung der Wissenschaft auf einem sehr guten Weg, dieses Ziel zu erreichen. PD Dr. A. Rainer Jordan, Leiter des Instituts der Deutschen Zahnärzte, gab in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass laut einer aktuellen IDZ-Befragung rund zwei Drittel der Bevölkerung glauben, Parodontitis lasse sich durch besonders heftiges Schrubben der Kauflächen verhindern – ein weiteres klares Argument für frühzeitige und umfassende Aufklärungs- und Präventionsarbeit zu Zahnfleischerkrankungen.

Fazit: Parodontitis ist eine komplexe Erkrankung, die differenzierte Präventions- und Behandlungsstrategien erfordert. Mit der neuen Klassifikation parodontaler Erkrankungen in Stadien und Grade liegt nun eine Systematik vor, die eine stärker personalisierte Diagnostik und Therapie der Volkskrankheit Parodontitis ermöglicht. Patienten haben unterschiedliche Bedürfnisse, die es seitens der Behandler zu berücksichtigen gilt. Der Schlüssel, um die Prävalenz der Erkrankung auch künftig zurückzudrängen und nachhaltige Erfolge erzielen zu können, liegt weiterhin in frühzeitiger und umfassender Aufklärungsarbeit sowie einem regelmäßigen, systematischen Screening in der Zahnarztpraxis. Dafür steht allen Zahnärzten der PSI (Parodontaler Screening Index) zur Verfügung, der bereits ab einem Alter von zwölf Jahren eingesetzt und bei jedem Patienten alle zwei Jahre über die gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden kann.

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