Neue Muskelschicht am Kiefer entdeckt
Der Massetermuskel ist der prominenteste unserer Kaumuskeln. Legt man die Finger auf den hinteren Bereich der Wangen und presst die Zähne aufeinander, fühlt man, wie er sich anspannt. In Lehrbüchern der Anatomie wird der Masseter in der Regel so beschrieben, dass er aus einem oberflächlichen und einem tiefen Anteil besteht.
Forschende um Dr. Szilvia Mezey vom Departement Biomedizin und Prof. Dr. Jens Christoph Türp vom Universitären Zentrum für Zahnmedizin der Universität Basel beschreiben nun jedoch den Aufbau des Massetermuskels mit einer dritten, noch tieferen Schicht. In der Fachzeitschrift «Annals of Anatomy» schlagen sie dafür den Namen Musculus masseter pars coronidea vor, also coronoider Teil des Masseters. Dies, weil die neu beschriebene Muskelschicht am Muskelfortsatz (dem sogenannten Koronoidfortsatz) des Unterkiefers ansetzt.
Die anatomische Studie beruht auf genauen Untersuchungen formalin-fixierter Kiefermuskulatur, computertomographischen Aufnahmen und der Analyse gefärbter Gewebeschnitte von Verstorbenen, die ihren Körper der Forschung gespendet hatten. Hinzu kamen Magnetresonanzdaten einer lebenden Person.
Als hätte man eine neue Tierart entdeckt
«Dieser tiefe Anteil des Massetermuskels lässt sich hinsichtlich seines Verlaufs und seiner Funktion klar von den beiden anderen Schichten unterscheiden», erklärt Szilvia Mezey. Die Anordnung der Muskelfasern lasse vermuten, dass diese Schicht an der Stabilisierung des Unterkiefers beteiligt sei. Zudem scheint sie der einzige Teil des Masseters zu sein, die den Unterkiefer zurück, also Richtung Ohr ziehen kann.
Ein Blick in historische Anatomiestudien und -lehrbücher zeigt, dass der Aufbau des Massetermuskels bereits in der Vergangenheit Fragezeichen aufwarf: In einer früheren Ausgabe des Standardwerks «Gray’s Anatomy» aus dem Jahr 1995 beschreiben die Herausgeber den Massetermuskel ebenfalls dreischichtig, wobei die zitierten Studien allerdings auf der Kiefermuskulatur anderer Spezies beruhten und einander teils widersprachen.
Weitere vereinzelte Studien aus den frühen 2000er-Jahren berichteten zwar gleichfalls von drei Schichten. Diese untertrennten aber den oberflächlichen Anteil des Masseters in zwei Schichten, während die Beschreibung des tieferen Anteils den Standardwerken entsprach.
«Angesichts dieser widersprüchlichen Beschreibungen wollten wir den Aufbau des Massetermuskels noch einmal umfassend untersuchen, obwohl man davon ausgeht, dass die anatomische Forschung der letzten 100 Jahre keine weissen Flecken hinterlassen hat», so Türp. «Unser Fund ist ein bisschen so, als hätten Zoologen eine neue Wirbeltierart entdeckt.»