Millerpreis der DGZMK für interdisziplinäres Leipziger Forscherteam
Schwere Herzerkrankungen, insbesondere die Herzinsuffizienz, treten weltweit mit einer hohen Prävalenz und Inzidenz auf. Die erfolgreiche (Langzeit-)Therapie mit Herztransplantation (HTx) sowie Herzunterstützungssystemen, insbesondere den sogenannen left ventricular assist devices (LVAD), führt dabei zu einer wachsenden Patientengruppe, die in vielerlei Hinsicht einen besonderen (zahnmedizinischen) Betreuungsbedarf aufweist. Aufgrund der lebenslangen Immunsuppression nach HTx bzw. der Verbindung einer extrakorporalen Steuereinheit bei LVAD mit dem Thoraxinneren sind diese Patientengruppen als Risikopatienten in der zahnärztlichen Behandlung einzustufen. Dies führt zu Forderung nach einer frühzeitigen zahnärztlichen Rehabilitation mit langfristiger präventiver Betreuung dieser Patienten.
Diese aktuelle Situation sollte in der Arbeit durch insgesamt vier Teilprojekte umfangreich beleuchtet werden, um die zahnärztliche Versorgungssituation von Patienten mit schweren Herzerkrankungen in Deutschland beurteilen und ggf. den bestehenden Verbesserungsbedarf abschätzen zu können. Zunächst erfolgte in zwei verschiedenen Querschnittsstudien die Erfassung von Mundgesundheitsverhalten sowie dentalem und parodontalem Zustand von Patienten mit Herzinsuffizienz (n=89), HTx (n=112) und LVAD (n=128). Dabei war festzustellen, dass die überwiegende Mehrheit der Patienten regelmäßig den Zahnarzt aufsucht. Jedoch war die Durchführung der Mundhygienemaßnahmen verbesserungsbedürftig; nur etwa ein Drittel der Patienten gab beispielsweise an, Zahnzwischenraumhygiene zu betreiben. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zeigte sich sowohl eine hohe Prävalenz moderater bis schwerer Parodontitis, als auch ein hoher parodontaler Behandlungsbedarf von über 80 Prozent. Hieraus kann ein unzureichender Mundgesundheitszustand schwer herzerkrankter Patienten, primär in Bezug auf deren parodontalen Zustand, geschlussfolgert werden. Eine tiefergehende Untersuchung zur Detektion potenzieller Assoziationen zwischen Mundgesundheit und spezifischer Erkrankungsparameter wurde zudem in der LVAD Gruppe durchgeführt. Hierbei konnten keine wesentlichen Zusammenhänge festgestellt werden; insbesondere die fehlende Assoziation zwischen Mundgesundheit und Driveline-Infektion lassen die Auswirkung der insuffizienten parodontalen Situation auf die systemische Gesundheit dieser Patienten noch fraglich erscheinen.
Für ein tieferes Verständnis für diese Situation, wurden in den beiden weiteren Teilprojekten einige Aspekte gesondert betrachtet. Teilprojekt 3 erfasste hierzu die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität (MLQ) von herzinsuffizienten Patienten (n=82) und nach HTx (n=104) im Rahmen einer Querschnittsstudie. Obgleich die parodontale Erkrankungslast und Behandlungsbedürftigkeit außerordentlich hoch war, wiesen die Patienten eine subjektiv kaum beeinträchtigte MLQ auf. Die generelle gesundheitsbezogene Lebensqualität zeigte im Unterschied zum oralen Zustand einige Zusammenhänge zur MLQ. Es scheint demnach zu einer Verschiebung in der Wahrnehmung des Mundgesundheitszustandes, bedingt durch die physische und mentale Belastung durch die Grunderkrankung vorzuliegen. Dies könnte zu einem unzureichenden Mundhygieneverhalten und einem limitierten Inanspruchnahmeverhalten zahnmedizinischer Angebote führen und damit eine partielle Erklärung für die unzureichende Mundgesundheitssituation dieser Patienten liefern.
Im vierten Teilprojekt sollte abschließend die aktuelle Versorgungssituation ganz konkret erfasst werden. Hierzu wurden insgesamt 88 Patienten mit Herzinsuffizienz, nach HTx und LVAD im Rahmen einer Querschnittsstudie mit prospektiver Verlaufskontrolle zunächst zahnärztlich untersucht. Anschließend erfolgte die Zuweisung zum Hauszahnarzt mit einem Arztbrief, welcher den aktuell vorliegenden zahnärztlichen Behandlungsbedarf beinhaltete. Nach zwölf Monaten wurden die Patienten erneut zahnärztlich untersucht und zudem in Bezug auf die Zahnarztkonsultation befragt. Während beinahe 80 Prozent der Patienten den Zahnarzt besucht hatten, erfolgten nur eingeschränkte Umsetzung bedarfsgerechter Therapiemaßnahmen. Die parodontale Behandlungsbedürftigkeit konnte hierbei nur geringfügig reduziert werden und lag nach zwölf Monaten immer noch bei über 70 Prozent. Auch gaben nur 10 Prozent der Patienten an, eine Zahnfleischbehandlung durch den Hauszahnarzt erhalten zu haben. Weiterhin war eine leichte Zunahme der Anzahl fehlender Zähne nach zwölf Monaten zu beobachten. Folglich zeigte sich eine Versorgungslücke: offenbar scheint selbst bei Übermittelung des Behandlungsbedarfs keine adäquate parodontale Therapie und Nachsorge bei schwer herzerkrankten Patienten durch deren Hauszahnärzte zu erfolgen.
Die vier dargestellten Teilprojekte skizzieren ein komplexes (Versorgungs-)Problem. Patienten mit schweren Herzerkrankungen weisen einen hohen parodontalen Behandlungsbedarf und eine hohe Prävalenz moderater bis schwerer Parodontitis auf. Zudem zeigt sich ein unzureichendes Mundgesundheitsverhalten. Hierfür können zwei mögliche Ursachen angeführt werden: einerseits eine subjektive Wahrnehmung der Patienten, welche nicht der realen Mundgesundheitssituation entspricht. Dies scheint durch die physische und emotionale Belastung durch die Grunderkrankung begründet und führt zu einem reduzierten Mundgesundheitsverhalten. Anderseits scheinen die Hauszahnärzte unter den aktuellen Voraussetzungen nicht imstande, den aktuellen parodontalen Versorgungsbedarf schwer Herzerkrankter abzudecken. Hieraus ergibt sich die Empfehlung einer multidisziplinären zahnmedizinischen Betreuung. Hierzu empfiehlt sich der Aufbau und die Etablierung von „Special care“ Einrichtungen mit spezialisierten Zahnärzten. Diese sollten im interdisziplinären Team mit Kardiologen/Herzchirurgen und anderen Fachdisziplinen eine präventionsorientierte Versorgung, unter Berücksichtigung der Besonderheiten schwer herzerkrankter Patienten gewährleisten. Entsprechende, fallorientierte Betreuungskonzepte sollten prospektiv evaluiert und validiert werden und langfristig eine Stabilisierung des unzureichenden zahnärztlichen Versorgungszustandes dieser Patienten ermöglichen.