Mehr Unterstützung von Kassen und bei Ausbildung gefordert
Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV): „Die BARMER beklagt Defizite in der Versorgung, ködert zugleich aber laut Bundesversicherungsamt mit knappen Beitragsgeldern junge, gesunde Mitglieder über Bonusprogramme und Wahlleistungen, um ihre Bilanz aufzuhübschen. Alte, chronisch Kranke und behinderte Menschen hingegen werden von den Kassen systematisch benachteiligt. Sie erhalten schlechtere Leistungen oder ihre Anträge auf Rehabilitation und Hilfsmittel werden häufiger abgelehnt. Das verstößt gegen das Solidarprinzip! Wir Zahnärzte leisten in der Pflege seit Jahren aktive Beiträge, etwa durch die aufsuchende Versorgung mit bedarfsgerechten Schwerpunkten bei Prävention und Therapie. Wer die Praxis nicht mehr erreicht, den behandeln wir - soweit möglich - im Heim oder Zuhause.“
Nicht erst seit dem Report sei bekannt, dass gerade Ältere und Pflegebedürftige besondere zahnärztliche Zuwendung benötigen, betonte Eßer. „Ihre Mundgesundheit ist im Bevölkerungsdurchschnitt signifikant schlechter. Statt Geld für teure Eigen-PR oder zweifelhaftes Sponsoring zu vergeuden, sollten Kassen ihre Versicherten besser über bestehende Ansprüche in der zahnärztlichen Versorgung informieren. Hier tut sich zu unserem Bedauern viel zu wenig. Auch fordere ich alle Betreiber von Pflegeeinrichtungen, die bislang keine Kooperation für die Betreuung der Bewohner geschlossen haben auf, eine solche Zusammenarbeit zeitnah zu vereinbaren.“ Langfristig könne es nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung gelingen, die Mundgesundheit in der Pflege nachhaltig zu verbessern.
„Diesen Menschen steht die gleiche Teilhabe an einer bedarfsgerechten Versorgung zu, wie der übrigen Bevölkerung. Wir arbeiten deshalb weiter dafür, dass ausnahmslos alle Patienten von der hochwertigen Versorgung durch Zahnärzte profitieren. Ältere und pflegebedürftige Menschen dürfen im Kassenwettbewerb nicht das Nachsehen haben!“
Prof. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK): „Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung für die wachsende Zahl von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung – und diese nehmen wir seit langem wahr. Seit fast zwei Jahrzehnten setzt sich die BZÄK für die Verbesserung der Betreuung und der Prävention dieser vulnerablen Bevölkerungsgruppe mit zahlreichen Projekten ein. Bis 2014 basierte diese Betreuung vorwiegend auf dem ehrenamtlichen Engagement zahlreicher Zahnärzte. Es war ein zäher Weg, Politik und Krankenkassen von dem dringenden Handlungsbedarf zu überzeugen.
Leider wird auch in der Ausbildung der Pflegekräfte die Mundhygiene für Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf nicht ausreichend vermittelt und somit auch im Pflegealltag zeitlich nicht ausreichend abgebildet. Die stärkere Berücksichtigung von Mundhygieneverhalten in der Pflegeaus- und Fortbildung ist also von zentraler Bedeutung für die Verbesserung der Mundgesundheit und die Lebensqualität der betroffenen Patienten. Mit der Modernisierung der Pflegeausbildung über das neue Pflegeberufereformgesetz gibt es Chancen dafür.
Die BZÄK und die Deutsche Gesellschaft für Alterszahnmedizin haben ein Konzept zur Vermittlung von zahn- und mundgesundheitlichen Aspekten im Rahmen der Ausbildung von Pflegekräften erarbeitet. Damit kommen sie auch dem seitens der Pflegewissenschaft geäußerten Wunsch, dass zahnmedizinische Inhalte in der Ausbildungsordnung der Pflegeberufe stärker repräsentiert werden sollten, nach. Zur Unterstützung des Pflegepersonals bieten die Kammern im Rahmen von Kooperationen seit Jahren Schulungen und Informationsmaterial für den Pflegealltag an. Es bleibt also weiterhin eine große Aufgabe für den Berufsstand, aber auch für Politik, Krankenkassen und Pflegeberufe, Mundgesundheit auch in der Pflege den notwendigen Stellenwert zu verschaffen.“
Aufwärtstrend bei Kooperationen und Hausbesuchen
Spezielle Kooperationsverträge zwischen Pflegeeinrichtungen und Zahnärzten ermöglichen eine systematische Betreuung. Rund 3.700 Verträge mit den etwa 13.600 Einrichtungen ergeben aktuell einen Versorgungsgrad von bundesweit 27 Prozent. Die lückenlose Abdeckung aller Einrichtungen bleibt übergeordnetes Ziel der Zahnärzte. Die Zahl von Haus- und Heimbesuchen lag in 2017 bei rund 929.000 (+3,5 Prozent im Vorjahresvergleich). 87 Prozent der Besuche entfielen dabei auf Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung (2016: 84 Prozent).
Neue präventive Leistungen
Die KZBV hat als stimmberechtigte Trägerorganisation im Gemeinsamen Bundesausschuss zudem in 2017 die Umsetzung der Erstfassung der Richtlinie über Maßnahmen zur Verhütung von Zahnerkrankungen bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen maßgeblich vorangetrieben. Versicherten mit Pflegegrad oder Eingliederungshilfe stehen in Kürze neue präventive Leistungen nach § 22a SGB V zu, die KZBV und GKV-Spitzenverband im Bewertungsausschuss beschlossen haben. Der Anspruch umfasst die Erhebung des Mundgesundheitsstatus, einen Mundgesundheitsplan, Mundgesundheitsaufklärung sowie die zusätzliche Entfernung harter Zahnbeläge. Pflege- oder Unterstützungspersonen werden in die Aufklärung und die Erstellung des Pflegeplans einbezogen.