Medizinischer Notfall? Neue Software schafft Klarheit
Anhand der Software werden dem Patienten Fragen gestellt und seine Beschwerden eingeschätzt. Die Software namens SmED (Strukturiertes medizinisches Ersteinschätzungsverfahren für Deutschland) dient zur Unterstützung der Disponenten und kann überall dort zur Unterstützung eingesetzt werden, wo hilfesuchende Patienten vorstellig werden, so zum Beispiel auch in Bereitschaftspraxen.
„SmED ist ein wichtiger Baustein im Programm der Kassenärztlichen Vereinigungen, um den Patienten mit der Nummer 116117 rund um die Uhr eine Anlaufstelle bei akuten Beschwerden zu bieten. Das standardisierte Verfahren ermöglicht eine sichere Empfehlung, wer tatsächlich die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsuchen muss. Die übrigen ratsuchenden Patienten sollen möglichst direkt dorthin vermittelt werden, wo ihnen am besten geholfen werden kann. Dies kann auch eine abschließende telefonische ärztliche Beratung sein. Mit der Investition in eine verbesserte telefonische Erreichbarkeit leisten die Kassenärztlichen Vereinigungen und die niedergelassenen Ärzte einen wichtigen zusätzlichen Beitrag zur Sicherstellung. Die Krankenhäuser und die Bereitschaftspraxen sollen so von den sogenannten unechten Notfällen entlastet werden“, sagt Dr. Stephan Hofmeister, stellv. Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
„SmED basiert auf einem bereits etablierten evidenzbasierten System, mit dem Patientenbeschwerden hinsichtlich ihrer Dringlichkeit und der richtigen Versorgungsebene zur weiteren Abklärung ihres Anliegens eingeschätzt werden können. Die Patienten erhalten eine gezielte Empfehlung, etwa: sofort ins Krankenhaus, Termin beim niedergelassenen Arzt reicht aus oder Hausmittel verschaffen Linderung. Neben der Einordnung der Beschwerden bietet SmED auch eine Dokumentation für die anschließende Behandlung“, erklärt Dr. Dominik von Stillfried, Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi).
In der Schweiz gibt es bereits seit Jahren ein softwaregestütztes System, mit dem die Ersteinschätzung von Patienten vorgenommen wird. „Die medizinischen Inhalte des Systems referenziert unter anderem auf das Projekt und die Publikation "Red-Flags" des Institutes für Hausarztmedizin der Universität Bern, bei welchem mehr als 250 wissenschaftliche Arbeiten berücksichtigt und mehrere Schweizer Autoren beteiligt waren. Die medizinischen Inhalte werden bei neuen Erkenntnissen fortwährend aktualisiert.
In Hinblick auf die Anwendung in Deutschland werden die Empfehlungen noch einmal überprüft und laufend angepasst“, berichtet Dr. Andreas Meer, Geschäftsführer der Schweizer in4medicine AG. Für die Anwendung in Deutschland haben das Zi, das aQua-Institut und die in4medicine AG bereits eine erste SmED-Version erstellt. Für die laufende Weiterentwicklung, die Qualitätssicherung und die Evaluation sowie für die Bereitstellung der Software in Deutschland wurde ein mehrjähriger Kooperationsvertrag zwischen Zi, aQua und in4medicine geschlossen.
Zur Anpassung und Weiterentwicklung hat das Zi einen medizinischen Beirat eingerichtet. Dort sind nicht nur niedergelassene Haus- und Fachärzte, sondern durch den Marburger Bund und die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) auch im Krankenhaus tätige Ärzte vertreten.
„Wir halten es für sehr wichtig, dieses Projekt als einen wichtigen Baustein im Rahmen eines umfassenden Ersteinschätzungsverfahrens von Anfang an auch aus unserer Sicht zu begleiten. Wir wollen die Entlastung der Notaufnahmen in den Krankenhäusern unterstützen, damit sich die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte rasch um die Patienten kümmern können, die eine Behandlung durch das Krankenhaus auch tatsächlich benötigen. Unser Ziel ist es, dass im Bereich der Ersteinschätzung überall die gleiche Sprache gesprochen wird. Jeder, der dringend eine Krankenhausbehandlung benötigt, muss zuverlässig erkannt werden. Wir wollen, dass die gleiche Ersteinschätzung langfristig sektorenunabhängig sowohl unter der 116117 als auch unter der 112 und wohl ergänzt um eine Dringlichkeitseinstufung auch in der Notaufnahme eingesetzt werden kann. Die geplante neue Software kann dieses Gesamtziel unterstützen. Wir begrüßen sehr, dass die Begleitung des Projekts durch ein Fehlermeldesystem geplant ist. Somit kann der medizinische Beirat diese Hinweise und Fehlermeldungen bewerten und ggf. notwendige Weiterentwicklungsmaßnahmen anstoßen. Wir werden anhand von Beispielfällen, sog. Fallvignetten, die hinterlegten Algorithmen überprüfen, um sicher zu sein, dass sog. „red flags“, die die Einweisung in eine Klinik auslösen sollten, auch tatsächlich zu den notwendigen Konsequenzen führen“, beschreibt Rudolf Henke, 1. Vorsitzender des Marburger Bundes, die Sichtweise der Klinikärzte.
„Die Vorarbeiten anhand einer großen Zahl empirischer Beratungsanlässe aus dem System haben gezeigt, dass sich niedergelassene Ärzte und Notfallmediziner schnell einig sind, wie und mit welchen Mitteln Patienten mit bestimmten Beschwerdebildern in Deutschland behandelt werden sollten. Die Vorarbeiten aus der Schweiz liefern dafür eine sehr gute Grundlage. Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass mit Hilfe von SmED potentiell ambulante Patienten, die die 116117 wählen, künftig an die richtige Stelle im medizinischen Versorgungssystem geführt werden. Der Erfolg der Implementierung an Bereitschaftspraxen muss allerdings erst noch evaluiert werden.
Gute Notaufnahmen verfügen Teil bereits seit Jahren über fest etablierte und wissenschaftlich evaluierte Triagemethoden wie MTS (Manchester Triage Scale) oder ESI (Emergency Severity Index), die den Fokus auf die Dringlichkeitseinschätzung von zeitkritischen und schwerstkranken Patienten richten. Die Notaufnahmen und integrierten Notfallzentren in Kliniken bedürfen dieser Lösungen die eine Dringlichkeitseinschätzung in einem engeren Zeitintervall als SmED fordern, um der Patientensicherheit und den Vorgaben der Fachgesellschaften weiterhin zu entsprechen. Wie viele Maßnahmen im Gesundheitswesen bedarf die praktische Anwendung daher einer laufenden Evaluation“, sagt Prof. Harald Dormann, beratendes Mitglied des Vorstands der DGINA und Chefarzt in der Zentrale Notaufnahme am Klinikum Fürth.
SmED wird ab dem ersten Quartal 2019 im Alltagseinsatz auf dem Gebiet von elf Kassenärztlichen Vereinigungen evaluiert und kontinuierlich verbessert. Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) fördert ein Evaluationsprojekt unter Leitung des aQua-Instituts. SmED wird über das Zi darüber hinaus allen Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung stehen, die sie in ihren Telefonvermittlungszentralen und in den Bereitschaftspraxen einsetzen können. Auch Krankenhäuser können die Software lizensieren.