Fluoridexposition in Europa: Kein Anlass zur Besorgnis
Fluorid kommt geografisch bedingt überall in der Erde und im Wasser in verschiedenen Konzentrationen vor. Einige Länder, wie die USA, setzen dem Trinkwasser zur Kariesprävention Fluorid zu. Weltweit werden fluoridhaltige Mundhygieneprodukte verwendet. Die damit einhergehenden gesundheitlichen Vorteile und möglichen Risiken werden von Wissenschaft und Öffentlichkeit kontrovers diskutiert.
Forschende des IfADo haben nun mit Expertinnen und Experten der SKLM aus den Bereichen Toxikologie, Lebensmittelchemie und -technologie sowie Behörden die zur Verfügung stehenden Daten zur entwicklungsneurotoxischen Wirkung von Fluorid ausgewertet. Im Fokus stand die Frage, ob eine dauerhaft erhöhte Fluoridaufnahme der geistigen Entwicklung von Kindern schaden kann. Dazu haben sich die Forschenden die bisherigen Ergebnisse aus Tierversuchen, Experimenten mit Zellkulturen und Beobachtungsstudien am Menschen (epidemiologische Studien) angeschaut.
In Tierversuchen wurde gezeigt, dass Fluorid in hoher Dosierung entwicklungs- und neurotoxische Wirkungen zeigen kann. Es wurden aber meist so hohe Fluoriddosen getestet, dass sie um mehrere Größenordnungen über den Expositionswerten beim Menschen lagen. Häufig erfüllen diese Studien auch die wissenschaftlichen Standards nicht. Für eine Risikoabschätzung können sie daher nicht verwendet werden. Ein ähnliches Bild zeichnete sich bei der Auswertung der 26 analysierten Studien mit Zellkulturen. Die Fluoridkonzentrationen, die in den Studien an verschiedensten Nervenzellarten eine Wirkung auf den Stoffwechsel zeigten, lagen ebenfalls um mehrere Größenordnungen über den Fluoridkonzentrationen im menschlichen Blut.
Ergebnisse der epidemiologischen Studien widersprechen sich
Für den Zeitraum von 2012 bis 2019 konnten die Forschenden insgesamt 23 epidemiologische Studien identifizieren, die einen Zusammenhang zwischen der Fluoridaufnahme und der Intelligenz von Kindern untersuchten. 21 der 23 Studien deuten darauf hin, dass eine hohe Fluoridbelastung mit einem niedrigeren Intelligenzquotienten verbunden sein könnte. „Die meisten der einbezogenen Studien sind aber methodisch zu schlecht angelegt, um einen Zusammenhang zu bestätigen. So werden verzerrende Faktoren wie der familiäre Sozialstatus, der Beitrag weiterer Fluoridquellen zur Exposition oder die Aufnahme von Neurotoxinen wie Arsen über das Trinkwasser unzureichend oder gar nicht berücksichtigt“, erklärt IfADo-Toxikologe Prof. Jan Hengstler. Zudem beruhen fast alle Studien auf einer einmaligen Beobachtung der Intelligenz der Kinder in Gegenden, in denen Fluorid natürlicherweise in hohen, bzw. schwankenden Konzentrationen vorkommt.
Für Daten, die einen Zusammenhang zwischen einer dauerhaften Fluoridaufnahme und der Entwicklung der Intelligenz beweisen, müssen Populationen aber über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. „Wir konnten nur zwei solcher Längsschnittstudien unter den 23 finden. Sie kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen“, fasst Jan Hengstler zusammen. Während die eine Studie keinen Zusammenhang feststellen konnte, schlussfolgerte die andere, dass höhere Fluoridexpositionen von Schwangeren mit leicht niedrigeren IQ-Werten der Söhne zusammenhängen. Für Mädchen konnte das allerdings nicht bestätigt werden, der IQ war teilweise höher.
Weitere Forschung für umfassende Risikobewertung
„Das aktuell verfügbare Wissen rechtfertigt nicht, Fluorid als entwicklungsneurotoxisch bei den Werten einzustufen, denen wir in Europa ausgesetzt sind“, so Jan Hengstler. „Es ist noch weitere Forschung nötig, um eine umfassende Risikobewertung durchführen zu können. Wir brauchen etwa mehr qualitativ gute Tierstudien und Längsschnittstudien sowie eine systematischere Analyse des Fluoridgehalts der Quellen, denen wir in der EU ausgesetzt sind“, sagt Jan Hengstler.
Hintergrund Fluorid
Fluoride sind die neutralen Salze der Fluorwasserstoffsäure. 99 Prozent des Fluorids im Körper befindet sich in den Zähnen und Knochen. Nach bisherigem Kenntnisstand hat Fluorid keine essenzielle Funktion für den Menschen. Der Körper braucht also kein Fluorid, damit er funktioniert. Allerdings ist Fluorid von Bedeutung für die Kariesprävention. Denn Fluorid macht den Zahnschmelz widerstandsfähiger. Viele Zahnpasten enthalten aus diesem Grund geringe Mengen Fluorid. Zudem wird seit den 1940er Jahren in einigen Ländern Fluorid zum Trinkwasser hinzugefügt. Trinkwasser wird in Deutschland nicht fluoridiert. Dafür sind in Deutschland zwei Drittel des konsumierten Haushaltssalzes fluoridiert.
Akute hohe orale Fluorid-Expositionen können der Gesundheit schaden, indem sie etwa Bauch- und Kopfschmerzen, Durchfall, Koma und sogar Tod hervorrufen. Liegt eine chronische Toxizität vor, kann es zur Skelett- sowie Dentalfluorose kommen.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat die Vorteile für die Kariesprävention und das Risiko für die Entstehung einer Dentalfluorose abgewogen und empfiehlt eine tägliche angemessene Aufnahmemenge von 0,05 mg Fluorid pro Kilogramm Körpergewicht. Diese Aufnahmemenge umfasst alle möglichen Aufnahmequellen (Trinkwasser, Lebensmittel, kosmetische Produkte etc.) und gilt sowohl für Kinder als auch Erwachsene (einschließlich Schwangere). Wie viel Fluorid eine Person in Europa pro Tag aufnimmt, dazu liegen noch keine repräsentativen Daten vor. Schätzungsweise nimmt eine 70 Kilogramm schwere Person in Deutschland pro Tag rund 0,4 mg Fluorid auf.