Erste europäische Leitlinie zur Behandlung von fortgeschrittener Parodontitis veröffentlicht
Anlässlich des Starts der Europerio 10 in Kopenhagen (Dänemark) veröffentlich die European Federation of Periodontology (EFP) in Folge auf die 2020 publizierte S3-Leitlinie zur Behandlung von Parodontitis des Stadiums I-III (2) eine weitere S3-Leitlinie. Diese neue Leitlinie beinhaltet Empfehlungen zur Behandlung von Patient:innen mit fortgeschrittener Parodontitis (Parodontitis Stadium IV), welche im November in einem Clinical Guideline Workshop unter der Federführung von Professor David Herrera (Madrid, Spanien) konsentiert wurden und bei dem auch zahlreiche deutsche Expert:innen aus allen Bereichen der Zahnmedizin vertreten waren.
„Durch Zahnfleischbluten, lockere Zähne, Mundgeruch und Verlust von Zähnen, kann Parodontitis erhebliche Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben“, erklärt der Leiter des Workshops und Autor Professor David Herrera von der Universität Complutense in Madrid, Spanien. „Bei parodontal erkrankten Menschen können Schwierigkeiten beim Kauen oder Probleme mit der Aussprache auftreten. Einige schämen sich für die orale Situation, sind frustriert und hilflos.“ Die Parodontitis-Behandlung sollte daher nicht nur weiteren Zahnverlust verhindern, sondern auch Funktion, Ästhetik und Lebensqualität der betroffenen Patient:innen wiederherstellen. Demzufolge sind komplexe, auf die individuellen Bedürfnisse angepasste Therapien unter Beteiligung verschiedener zahnmedizinischer Fachdisziplinen erforderlich und genau hier setzen die Empfehlungen der neuen Leitlinie an.
In Deutschland leiden schätzungsweise 10 bis 11 Millionen Menschen an einer schweren Parodontitis (Stadium III und IV). Parodontitis ist damit eine der häufigsten chronisch-entzündlichen nicht übertragbaren Erkrankungen. „Eine alleinige systematische Parodontitistherapie reicht in schweren Parodontitisfällen nicht aus, um die Dentition zu stabilisieren. Daher ist in der Regel für die orale Rehabilitation eine umfassende multidisziplinäre Behandlung notwendig, die auch prothetische, implantologische und/oder kieferorthopädische, Maßnahmen beinhaltet.“, so Professor Moritz Kebschull (Birmingham, England), Mitglied des Workshop-Organisationskomitees der EFP und Leitlinien-Beauftragter der DG PARO (Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e. V.).
Die klinische Diagnose einer fortgeschrittenen Parodontitis (Stadium IV) umfasst fünf Komponenten. Zunächst wird der Schweregrad der parodontalen Destruktion, die Beeinträchtigungen der Ästhetik, der Kau- und Sprachfunktion beurteilt. Im zweiten Schritt wird die Anzahl der Zähne, die aufgrund von Parodontitis verloren gegangen sind, ermittelt. Im dritten Schritt wird bestimmt, welche verbleibenden Zähne erhalten werden können. Viertens: Bewertung aller oralen Faktoren, die den Erhalt von Zähnen und/oder das Setzen von dentalen Implantaten erschweren oder begünstigen können, wie zum Beispiel Zahnlücken oder das Knochenangebot. Im fünften Schritt wird die Gesamtprognose der Person beurteilt, einschließlich der Wahrscheinlichkeit eines Fortschreitens oder Wiederauftretens der Erkrankung, unter Berücksichtigung von Risikofaktoren wie Rauchen und Diabetes. Professor Maurizio Tonetti von der Shanghai Jiao Tong University School of Medicine, Shanghai, China, Mitautor der Leitlinie, erklärt: „Dieser detaillierte Diagnoseprozess ist entscheidend, da er es uns ermöglicht, einen multidisziplinären Behandlungsplan auf der Grundlage dessen zu entwerfen, was technisch und biologisch machbar sowie kostengünstig ist, und dabei die Präferenzen und Erwartungen der Patient:innen zu berücksichtigen.“
EFP-Präsident Professor Andreas Stavropoulos, sieht in der Leitlinie für Parodontitis im Stadium IV eine wichtige Ergänzung der Leitlinien für die Stadien I bis III (2). „Damit gibt es auf europäischer Ebene zum ersten Mal Empfehlungen für eine interdisziplinäre und evidenzbasierte Versorgung aller Stadien von Parodontitis“, so Stavropoulos. Die Anwendung der Leitlinie solle die Qualität der Parodontalbehandlung in Europa und weltweit verbessern. Die EFP werde mit nationalen Fachgesellschaften für Parodontologie zusammenarbeiten um die Leitlinie zu übersetzen und in den nationalen Versorgungsrahmen zu implementieren, erläutert der EFP-Präsident.
Ausblick:
Wie auch bereits bei der letzten Leitlinie wird die DG PARO in einem Adolopment-Verfahren die Originalempfehlungen der neuen EFP-Leitlinie durch eine Expertengruppe auf ihre Anwendbarkeit im deutschen Gesundheitssystem hin überprüfen und in Deutschland implementieren.