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Digitaler Graben zwischen Kliniken und Praxen

Bild: Freeimages / Jack Moreh

Frauen und junge Ärzte treiben die Digitalisierung des Gesundheitswesens voran

| Videosprechstunden, elektronische Patientenakte, Gesundheits-Apps auf Rezept: Die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung hat in den vergangenen Monaten große Fortschritte gemacht – durch neue politische Initiativen, aber auch durch die Corona-Pandemie. Dabei ist Deutschlands Ärzteschaft gespalten, wenn es um den Einsatz digitaler Technologien im medizinischen Alltag geht. Während Ärzte in Kliniken mehrheitlich offen für digitale Gesundheitsangebote sind, zeigen sich Ärzte in Praxen skeptischer. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die der Digitalverband Bitkom gemeinsam mit dem Ärzteverband Hartmannbund unter mehr als 500 Ärzten in Deutschland durchgeführt hat.

Demnach sehen 86 Prozent der Klinik-Ärzte in der Digitalisierung primär Chancen für das Gesundheitswesen – 10 Prozent halten die Digitalisierung für ein Risiko. Bei den Praxis-Ärzten betonen lediglich 53 Prozent die Chancen – und 39 Prozent die Risikoperspektive. Zugleich gibt einen deutlichen Unterschied zwischen Ärztinnen und Ärzten: 74 Prozent der Frauen sehen die Digitalisierung als Chance, aber nur 63 Prozent der Männer. Und: Je jünger die Ärzte sind, desto aufgeschlossener und optimistischer sind sie. 88 Prozent der unter 45-Jährigen sehen die Digitalisierung als Chance. Aber nur jeder zweite Arzt (55 Prozent) ab 45 Jahren.

Mehr Tempo beim Ausbau gefordert

Zugleich wünschen sich vor allem Klinik-Ärzte, dass es bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens schneller vorangeht: 82 Prozent der Mediziner in Krankenhäusern sagen, es sei mehr Tempo beim Ausbau digitaler Angebote nötig. Unter den Praxis-Ärzten sind es lediglich 38 Prozent. 70 Prozent der Klinik-Ärzte meinen, Deutschland hänge im Vergleich zu anderen Ländern bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems zurück. Unter den Praxis-Ärzten sehen das mit 53 Prozent deutlich weniger so. Und fast zwei Drittel (63 Prozent) der Mediziner in Krankenhäusern plädieren dafür, dass Deutschland im Kampf gegen die Corona-Pandemie stärker auf digitale Technologien setzen muss (Praxis-Ärzte: 39 Prozent). „Deutschlands Ärzte stehen der Digitalisierung durchschnittlich sehr positiv und voller Erwartungen gegenüber. Allerdings: Zwischen den Ärzten in Kliniken und Praxen öffnet sich ein digitaler Graben“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. „Die Corona-Pandemie hat den Gesundheitssektor vor riesige Herausforderungen gestellt. Während Ärzte und Pflegende Höchstleistungen für ihre Patienten erbringen und immense Belastungen schultern, werden die Defizite schonungslos offengelegt. Dazu zählen die Nachverfolgung von Infektionsketten, die Information potenziell Infizierter oder jetzt die Terminvergabe bei der Schutzimpfung. Zettelwirtschaft, analoge Prozesse und hohe Datenschutzhürden sorgen noch immer für Verzögerungen, unnötigen Mehraufwand und Informationsdefizite.“ Insgesamt ziehen die Ärzte rund ein Jahr nach dem Ausbruch des Corona-Virus in Deutschland jedoch eine überwiegend positive Bilanz: Für drei Viertel (74 Prozent) hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass das hiesige Gesundheitssystem insgesamt gut aufgestellt ist.

Jeder fünfte Arzt setzt noch auf das Fax

Innerhalb der Praxen und Kliniken schreitet die Digitalisierung voran: Jeder zweite Arzt (50 Prozent) erstellt Medikationspläne überwiegend digital. Eine digitale Patientenakte ist bereits bei 66 Prozent im Einsatz – 31 Prozent bewahren die Akten noch abgeheftet in Schränken oder Regalen auf. 61 Prozent verwalten eigene Notizen und Dokumentationen digital – und 37 Prozent analog.

Die Kommunikation verläuft größtenteils traditionell: Das Telefon ist der wichtigste Kanal im Austausch mit Patienten (77 Prozent), Apotheken (61 Prozent) und Praxen (53 Prozent). Jeder fünfte Arzt (19 Prozent) hält den Kontakt zu Arztpraxen überwiegend per Briefpost, 22 Prozent setzen vornehmlich auf das Fax. Lediglich jeder 20. Arzt kommuniziert überwiegend via E-Mail mit anderen Praxen (5 Prozent), Apotheken (6 Prozent) oder den Patienten (5 Prozent). „Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Vernetzung, ein funktionierender, sicherer Datenaustausch und die digitale Dokumentation von Untersuchungsergebnissen sind“, betont Berg. „Doch auch unabhängig von der Pandemie sind die Zeiten, in denen ein Patient ein Leben lang beim selben Hausarzt in Behandlung ist, vorbei. Die Menschen wechseln nicht nur Wohnorte, sondern auch Ärzte häufiger. Wenn Akten und Befunde in Papierform abgeheftet werden, sind Doppeluntersuchungen, Sicherheitsdefizite und der Verlust von Informationen vorprogrammiert. Umso wichtiger ist es, dass auch im Gesundheitswesen durchgängig digitale Prozesse eingeführt werden.“

Mehr Ärzte bieten Video-Sprechstunden an

Einen deutlichen Zuwachs gibt es beim Angebot von Video-Sprechstunden. So bieten 17 Prozent der Praxis-Ärzte Video-Sprechstunden an: 6 Prozent taten dies bereits vor Corona, 11 Prozent haben damit während Corona begonnen. Weitere 40 Prozent können sich dies für die Zukunft vorstellen. Bei den Klinikärzten sind sogar drei Viertel (73 Prozent) bereit, künftig auch Videosprechstunden anzubieten – 4 Prozent tun dies seit Corona. In der Pandemie wurden die vormals hohen bürokratischen Hürden für Video-Sprechstunden deutlich gelockert und das Vergütungsmodell angepasst. „Videosprechstunden werden während der Corona-Pandemie sehr viel häufiger genutzt und die Nachfrage auf Seiten der Patienten ist so hoch wie noch nie. Viele Ärzte haben darauf reagiert“, sagt Berg. Insgesamt sind 75 Prozent der Ärzte, die eine Video-Sprechstunde anbieten, der Ansicht, die Pandemie habe diesem Angebot einen starken Schub verliehen. Mehr als jeder Zweite (55 Prozent) meint, dass die Behandlung in bestimmten Fällen genauso gut klappt wie ein persönlicher Termin.

Ärzte erhoffen sich einfachere Zusammenarbeit durch die ePa

Die seit dem 1. Januar in Deutschland verfügbare elektronische Patientenakte (ePa) weckt bei vielen Ärzten große Hoffnungen: Fast 9 von 10 Klinik-Ärzten (89 Prozent) erwarten durch die ePa eine einfachere Zusammenarbeit zwischen Ärzten – bei den Praxis-Ärzten sind es 54 Prozent. Auch eine größere Transparenz für alle Beteiligten (Klinik-Ärzte: 72 Prozent / Praxis-Ärzte: 45 Prozent) zählt für viele zu den größten Vorteilen. Zugleich sehen Klinik-Ärzte (76 Prozent) wie Praxis-Ärzte (85 Prozent) die Gefahr des Datenmissbrauchs. Insbesondere Praxis-Ärzte fürchten hohe Investitionskosten (60 Prozent / Klinik-Ärzte: 28 Prozent), jeder zweite Praxis-Arzt (52 Prozent) sieht auch eine schwierige Integration der ePa in den eigenen Behandlungsalltag. „Die elektronische Patientenakte ist ein Kernstück der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Indem sie Befunde, Diagnosen und Behandlungsberichte digital vereint, bietet sie einen schnellen und besseren Überblick für Ärzte und Patienten“, betont Berg. „Für die Ärzte wird sie dort den größten Nutzen entwickeln, wo bereits digitale Prozesse eingeführt sind.“

Jeder vierte Arzt will Gesundheits-Apps auf Rezept verschreiben

Ob bei Tinnitus, Migräne oder Schlafproblemen – seit Oktober 2020 können Ärzte gegen diese und andere Beschwerden Gesundheits-Apps für das Smartphone oder Tablet verordnen. Zehn solcher offiziell zugelassenen Anwendungen stehen mittlerweile zur Auswahl, und das Angebot wächst weiter. Jeder vierte Mediziner (24 Prozent) will die sogenannten digitalen Gesundheitsanwendungen, kurz DiGAs, künftig verordnen, 2 Prozent haben dies bereits getan. 28 Prozent schließen dies jedoch kategorisch aus. Bei digitalen Gesundheits-Anwendungen besteht bei rund einem Viertel der Ärzteschaft allerdings noch ein großer Informationsbedarf: Jeder zehnte Arzt (10 Prozent) weiß nach eigenem Bekunden nicht, was eine App auf Rezept ist. Bitkom-Präsident Achim Berg: „Für das deutsche Gesundheitswesen eröffnet sich mit den Gesundheits-Apps auf Rezept ein neuer, digitaler Versorgungsbereich, der auch international für große Aufmerksamkeit sorgt. Wir müssen Ärzte und Patienten noch besser aufklären und auf die Vorteile der Anwendungen aufmerksam machen. Die besten Gesundheits-Apps helfen niemandem, wenn sie von den Ärzten nicht verschrieben werden und sich die Patienten dann in Online-Foren orientieren und nicht dem professionellen Rat der Mediziner folgen.“

Ärzte sehen Verunsicherung bei Patienten, die sich online informieren

Die Digitalisierung verändert nicht nur die Behandlungsmethoden, sondern auch das Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Viele Menschen informieren sich mittlerweile im Internet über Symptome und Krankheiten, bevor sie zum Arzt gehen. Dabei stellen 9 von 10 Medizinern (90 Prozent) fest, dass Patienten durch die Internetrecherche verunsichert werden. Zugleich sagen zwei Drittel der Ärzte (67 Prozent), dass sie den Umgang mit Patienten, die sich im Internet vorinformiert haben, als anstrengend empfinden. 62 Prozent erleben, dass Patienten bereits mit einer Diagnose aus dem Internet zu ihnen zur Behandlung kommen. Allerdings geben umgekehrt auch 42 Prozent der Ärzte an, dass die Patienten durch Informationen aus dem Internet mündiger werden. Fast jeder zweite Mediziner (48 Prozent) lernt durch gut informierte Patienten sogar hin und wieder dazu.

Dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens nicht schneller voranschreitet, hat vielfältige Gründe. Die große Mehrheit der Ärzte (84 Prozent) nennt als Ursache die Komplexität des Gesundheitssystems, drei Viertel (78 Prozent) empfinden den Aufwand für IT-Sicherheit und Datenschutz als zu hoch. Mehr als jeder zweite Arzt (56 Prozent) stellt aber auch eine mangelnde Digitalkompetenz seiner Patienten fest. 43 Prozent sehen diesbezüglich bei den Ärzten selbst Nachholbedarf.

Was Ärzte für die digitale Zukunft erwarten

Insgesamt gehen die Ärzte in Deutschland davon aus, dass mithilfe der Digitalisierung maßgebliche Fortschritte in der Medizin erreicht werden – auch bei der Bekämpfung globaler Pandemien. 80 Prozent der Mediziner halten es für wahrscheinlich, dass spätestens im Jahr 2030 computergestützte Voraussagen flächendeckend im Einsatz sind, die vor Pandemien warnen und z.B. durch Algorithmen die Dynamik von Infektionsgeschehen vorhersagen. 72 Prozent erwarten, dass Organe wie Speiseröhrenimplantate, Haut oder Knorpelscheiben künftig mithilfe eines 3D-Druckers entstehen. 58 Prozent rechnen zudem damit, dass Tierversuche durch Versuche an 3D-gedruckten Zellstrukturen ersetzt werden.

Hinweis zur Methodik

Grundlage der Angaben ist eine Befragung, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverbands Bitkom und des Hartmannbundes im November 2020 durchgeführt hat. Dabei wurden 528 Ärzte aller Funktionen und Fachrichtungen befragt, darunter Ärzte im Krankenhaus und niedergelassene Ärzte.

Grafik: Bitkom

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