Die Panik vor der Zahnbehandlung
„Für die Zahnärztinnen und Zahnärzte hat das Thema Zahnbehandlungsangst eine große Bedeutung, da rund zwei Drittel der Patienten mit dieser Problematik in die Praxis kommen. Angst ist grundsätzlich nichts Negatives; seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte bereitet sie Reaktionen wie Flucht oder Verteidigung vor und kann auf diese Weise das Leben retten.Diese Angst kann jedoch krank machen und deshalb haben wir uns entschlossen, uns dem Thema interdisziplinär zu widmen. Ich freue mich sehr, dass sich rund 350 Kolleginnen und Kollegen aus beiden Kammerbereichen angemeldet haben“, sagt Dr. Michael Frank, Präsident der Landeszahnärztekammer Hessen zu Beginn der Veranstaltung.
Wie lässt sich die Zahnbehandlungsphobie aber nun von einem unguten Gefühl, einer „normalen“ Angst abgrenzen? Diese Frage beantwortet Dr. André Wannemüller von der Fakultät für Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum: „In erster Linie können Menschen mit Phobien ihre Furchtreaktion in der konkreten Situation nicht an das tatsächliche Bedrohungspotenzial anpassen – sie geraten praktisch automatisch in einen Zustand der Verteidigungs- und Kampfbereitschaft, mit allen dazu gehörenden körperlichen Verhaltensreaktionen. Die Furcht geht auch nicht weg, und bei einem Anhalten über mindestens sechs Monate sprechen wir von einer Phobie.“
Ursächlich für das Phänomen sind meistens eigene, negative Erfahrungen in einer Zahnbehandlungssituation. Schmerzerfahrungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie sind aber bei weitem nicht der einzige Grund. So können der Kontrollverlust und das Empfinden, einer unangenehmen Situation wehrlos ausgeliefert zu sein, Auslöser sein. Unangemessenes Verhalten der behandelnden Person können ebenfalls zur Störungsentwicklung beitragen.
Die Phobie manifestiert sich schon früh, zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr. Sie kann chronifizieren und es sind Fälle bekannt, in denen Betroffene erst nach 23 Jahren professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. „Problematisch an der typischen Vermeidungsreaktion – also gar nicht mehr zum Zahnarzt zu gehen – ist, dass keine furchtkorrigierenden Erfahrungen gemacht werden können, sondern immer die letzte, negative Erfahrung im Gedächtnis repräsentiert ist“, berichtet Dr. Wannemüller. Das Tückische an der Vermeidungsstrategie: Sie ist erst einmal verführerisch, wir kennen alle das Gefühl der Erleichterung, wenn ein unangenehmer Termin nicht stattfindet.
Langfristig hat das Verhalten aber schlimme Folgen: Menschen mit Zahnbehandlungsphobie sind anfälliger für weitere Angststörungen, leiden unter Depressionen, üben einen schädlichen Schmerzmittelkonsum aus. „Daneben stehen die gravierenden Auswirkungen auf die Zahn- und Mundgesundheit, das reicht von mehreren behandlungsbedürftigen Zähnen bis hin zur totalen Zerstörung des Gebisses mit weiteren gesundheitlichen Folgen. Manche Betroffene versuchen sich in ihrer Angst sogar selbst zu behandeln. Wie erfolgreich das ist, kann sich jeder denken“, ergänzt Prof. Dr. Dr. med. dent. Norbert Enkling, Universität Bonn und Universität Bern, selbst Zahnarzt und Fachzahnarzt für Oralchirurgie. Das führt in einen Teufelskreis: „Selbstwertgefühl und Lebensqualität sind irgendwann stark eingeschränkt, die Patienten und Patientinnen gehen in die soziale Isolation. Das ist dann wiederum Nährboden für psychische Erkrankungen.“
Die Zahnbehandlungsphobie ist gut therapierbar. „Wir schauen uns am Forschungs- und Behandlungszentrum für psychische Gesundheit an der Ruhr-Universität gerade Behandlungsdaten von Patienten an, die im Schnitt vor fünfeinhalb Jahren bei uns eine kurze verhaltenstherapeutische Behandlung ihrer Zahnbehandlungsphobie gemacht haben. Nach diesem doch recht langen Zeitraum sind rund 80 Prozent der Behandelten symptomfrei“, sagt Dr. Wannemüller. Die Behandlung erfolgt in Kooperation zwischen Psychotherapeuten und Zahnärzten. Dabei sind gerade die Ansätze erfolgreich, die den Betroffenen ermöglichen, neue Erfahrungen in der angstauslösenden Situation zu machen und die den furchteinflößenden Erwartungen widersprechen.
Für Prof. Enkling ist eines klar: „Das Problembewusstsein bei den Zahnärzten und -ärztinnen ist mittlerweile groß – und in gleichem Maße ist auch das Interesse gewachsen, interdisziplinär an Lösungsansätzen zu arbeiten.“