Die Barmer versteht die Pflege nicht
Schaut man dann jedoch in den wissenschaftlichen Teil der Studie, finden sich wesentlich nachdenklichere Töne: Es „besteht die berechtigte Frage, ob ein verbesserter Zugang zu Therapie wirklich das korrekte Maß für die Erfolgsbeurteilung“ der neuen Besuchsgebühren ist. Oder auch diese sehr reflektierte Aussage: „Möglicherweise sind die in … Studien dargestellten Behandlungsbedarfe an mancher Stelle auch noch zu sehr am normativen Bedarf und weniger an den spezifischen Bedarfen der Pflegebedürftigen orientiert.“ Ja diese Fragen sollte man sich tatsächlich stellen!
Die Analyse der Daten im Barmer-Report zeigt, dass die zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen im Jahr 2016 ein Drittel der Pflegebedürftigen besucht haben, die bei der Barmer versichert sind. Welche Patienten werden das wohl sein? Ist es die Frau Meyer, die mit dem Taxi in die Praxis kommen kann, oder der Herr Huber, den der Sohn bringen könnte? Wohl kaum! Es sind die kompromittiertesten Patienten, es sind die Patienten, deren Adaptationsfähigkeit schon von einer simplen Unterfütterung überfordert ist. Es sind die Patienten, die nur noch in Narkose saniert werden können, eine Narkose, die sie gesundheitlich jedoch nicht mehr durchstehen würden. Es sind die Patienten, deren subjektive Wahrnehmung scheinbar kleine, für sie selbst aber besonders wichtige Wünsche an die Zahnmedizin hat: Hier eine entzündete Tasche, dort eine scharfe Zahnkante. Möchte Herr Prof. Christoph Straub, der als Vorstandsvorsitzender der Barmer die harschen Vorhaltungen im Vorwort des Reports unterzeichnet hat, einer an Demenz erkrankten Dame tatsächlich sagen „Deine Probleme sind uns wurscht, Du bekommst jetzt eine neue Prothese, egal ob Du Dich daran gewöhnst. Wenn Du das nicht willst, besucht Dich kein Zahnarzt mehr!“ Ist das die Botschaft, die unsere Gesellschaft an Pflegebedürftige und an die Mitarbeitenden in der Pflege geben möchte?
Niemand käme auf die absurde Idee, die Medizin in der Pflege daran zu messen, wie viele künstliche Hüften sie am Lebensende implantiert. Auch in der Zahnmedizin zählen im letzten Lebensabschnitt nicht neue Prothesen und Implantate. Es zählt, da zu sein, sich zu kümmern, zu helfen, dass die Mundhöhle gepflegt und sauber ist und ernste Probleme zu verhindern. Das genau tun unsere Kolleginnen und Kollegen und dafür gebührt ihnen unsere Unterstützung und unser Dank!
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ)