Delegationsfähigkeit der Antiinfektiösen Therapie (AIT) im Rahmen der systematischen Parodontitisbehandlung
Grundsätzliches
Ein wichtiger haftungsrechtlicher und forensischer Aspekt der täglichen Arbeit in der Zahnarztpraxis ist die Frage nach der Übertragbarkeit bestimmter Tätigkeiten. Zahnärztinnen und Zahnärzte sind für den gesamten diagnostischen und therapeutischen Bereich zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet und persönlich gegenüber der Patientin oder dem Patienten für die gesamte Behandlung verantwortlich. Der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung ist ein Wesensmerkmal des freien Heilberufs, beinhaltet aber auch das Recht der Zahnärztin oder des Zahnarztes, qualifiziertes Personal mit abgeschlossener Berufsausbildung, das unter Aufsicht und unter allgemeiner arbeitsrechtlicher und besonderer zahnärztlicher Fachanweisung steht, für die Delegation bestimmter zahnärztlicher (Teil-)Leistungen heranzuziehen. Die gesetzlichen Delegationseröffnungen sind in § 1 Abs. 5 und 6 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG) geregelt1. Das ZHG unterscheidet dabei nicht zwischen den Qualifikationsstufen. Nach ZHG sind alle Qualifikationen gleichzustellen, was die Weisungsgebundenheit, Aufsicht, Kontrolle und die Delegationsbeauftragung durch die Zahnärztin oder den Zahnarzt betrifft.
Die BZÄK hat für die ZFA und die fortgebildeten nichtzahnärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deren Tätigkeitsspektrum im Sinne eines Delegationsrahmens zusammengestellt und so rechtskonforme Informationen und Gestaltungskorridore der Delegation für die zahnärztliche Praxis formuliert2. Rechtliches Dürfen setzt stets auch fachliches Können voraus. Deshalb ist Voraussetzung einer Delegation eine entsprechende Qualifikation der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters. Bei der Delegation von Teil-Tätigkeiten im Rahmen der PAR-Therapie kann insbesondere eine ZMP, ZMF bzw. DH eingesetzt werden, da diese Kenntnisse und Fertigkeiten im Rahmen der Aufstiegsfortbildungen inhaltlich vermittelt werden.
Die Zahnärztin oder der Zahnarzt entscheidet am Ende darüber, was an dafür qualifizierte nichtzahnärztliche Mitarbeiter delegiert wird, denn er oder sie haftet bei deren möglichen Fehlern.
Können (Teil-)Tätigkeiten der neuen PAR-Richtlinie an entsprechend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegiert werden?
Da die Absätze 5 und 6 im § 1 des ZHG nicht abschließend formuliert sind, ergeben sich bei neuen Leistungsbeschreibungen, wie zum Beispiel aktuell der BEMA-Positionen in Zusammenhang mit der Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderen Parodontalerkrankungen (PAR-Richtlinie), Fragen hinsichtlich der Delegierbarkeit dieser (Teil-)Leistungen. Zunächst ist festzuhalten, dass alle Leistungen sowohl im BEMA als auch in der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) als zahnärztliche Leistungen behandelt und bewertet werden. Die delegierte Vornahme einer Leistung setzt zwingend den Behandlungsauftrag durch die Zahnärztin oder den Zahnarzt voraus. Das selbstständige Tätigwerden von Fachpersonal ohne zahnärztliche Anordnung ist nicht statthaft. Für alle delegierten Leistungen gilt, dass die vollständige Leistungserbringung und damit die Berechnungsfähigkeit der BEMA-Positionen bzw. der Geb.-Nr. nach GOZ in diesem Sinne immer ein persönliches Tätigwerden der Zahnärztin oder des Zahnarztes voraussetzt. Der Umfang dieser zahnärztlichen Tätigkeit richtet sich nach der individuellen klinischen Situation und der Kooperationsfähigkeit der Patienten. Gefahrennähe, Komplikationsdichte und Krankheitsbild können eine Delegation jederzeit ausschließen.
Der aus § 1 Abs. 5 und 6 ZHG abgeleitete Delegationsrahmen der BZÄK behält auch im Zusammenhang mit dem durch die S3-Leitlinie vorgegebenen Leistungsgeschehen unverändert Gültigkeit. Vereinfacht kann man formulieren: „Was vorher (unter den Bedingungen der bisherigen Bestimmungen) delegierbar war, ist auch künftig (unter den Bedingungen der neuen PAR-Richtlinie) delegierbar“ 3,4.
PAR-RL, § 9: Antiinfektiöse Therapie (AIT, geschlossenes Verfahren)
Die Antiinfektiöse Therapie (AIT) dient der Beseitigung entzündlicher Prozesse. Die subgingivale Instrumentierung als ein Bestandteil der AIT wird auch als geschlossenes Vorgehen, geschlossene mechanische Therapie (GMT), subgingivales Debridement, im angloamerikanischen Sprachraum auch als „Scaling & Root Planing“ oder „non-surgical periodontal therapy“ bezeichnet. In der S3-Leitlinie „Die Behandlung von Parodontitis Stadium I bis III“ wird als Ziel der subgingivalen Instrumentierung formuliert, dass „durch die Entfernung harter und weicher Beläge von der Zahnoberfläche die Weichgewebsentzündung reduziert werden soll“ 5. Sie zielt auf die Beseitigung von subgingivalem Biofilm sowie Zahnstein ab und kann mit der Entfernung von Anteilen der Wurzeloberfläche (Wurzelzement) verbunden sein. In der Leitlinie wird der Begriff „subgingivale Instrumentierung“ „für alle nichtchirurgischen Interventionen verwendet, die entweder mit Hand- oder maschinell betriebenen Instrumenten durchgeführt werden, die speziell dafür konzipiert wurden, Zugang zur Wurzeloberfläche im subgingivalen Bereich zu erhalten und subgingivalen Biofilm und subgingivalen Zahnstein zu entfernen“5. Die subgingivale Instrumentierung umfasst ausdrücklich nicht die übermäßige Bearbeitung der Wurzeloberflächen mit gezielter Entfernung von Zement und auch nicht die intentionelle Weichgewebskürettage. Sie ist damit als geschlossenes, nicht-chirurgisches Therapieverfahren einzuordnen6.
Auch die Delegation der AIT unterliegt den Vorgaben des § 1 Abs. 5 und 6 ZHG und des Delegationsrahmens der BZÄK.
Da eine AIT stets ein Arbeiten im Bereich einer parodontalen Wunde umfasst, sind an eine Delegationsentscheidung strenge Maßstäbe anzulegen. Die Delegationsfähigkeit der AIT orientiert sich deshalb am Schweregrad- bzw. der Komplexität der parodontalen Erkrankung (Staging). Komplexitätsfaktoren (u. a. Taschentiefen ≥ 6 mm, fortgeschrittene Furkationsbeteiligung) können eine Delegation der AIT jederzeit ausschließen. Gemäß ZHG richtet sich die Delegation danach, ob weiche und harte subgingivale Beläge „klinisch erreichbar“ entfernt werden können. „Klinische Erreichbarkeit“ wird neben der Taschentiefe maßgeblich von der Anatomie der subgingivalen Zahn(wurzel)oberflächen sowie der Lokalisation des Zahnes/der Zahnfläche beeinflusst. Natürlich spielt auch die klinische Erfahrung der zahnärztlichen Behandler bzw. der Fachkräfte eine wichtige Rolle.
Zudem können auch besondere individuelle Risiken eine Delegation im konkreten Einzelfall ausschließen. Patientenindividuelle Risiken in diesem Sinne können zum Beispiel medikamentös bedingte Blutungsrisiken sein. In all diesen Fällen ist es notwendig individuell abzuwägen, ob die (Teil-)Tätigkeit insgesamt der Zahnärztin oder dem Zahnarzt vorbehalten bleibt, um das Risiko zu beherrschen. Nur wenn die Risikoabwägung ergibt, dass alle Risiken beherrschbar sind, kommt eine Delegation allein an dafür entsprechend qualifiziertes Personal in Betracht.
Nicht delegierbar sind selbstverständlich die chirurgischen Maßnahmen7, wie zum Beispiel Gingivektomie und Gingivoplastik sowie die offene Chirurgische Therapie (CPT), welche die bisherigen BEMA-Nummern P202 und P203 ersetzt.
Gemäß ZHG sind vom „qualifizierten Prophylaxe-Personal mit abgeschlossener Ausbildung wie zahnmedizinische Fachhelferin, weitergebildete Zahnarzthelferin, Prophylaxehelferin oder Dental-Hygienikerin“ weiche und harte subgingivale Beläge als delegierbare zahnärztliche (Teil-)Leistung nach dem Kriterium „klinisch erreichbar“ zu entfernen1. Das ZHG setzt hier maßgeblich auf die Eigenverantwortung der approbierten Zahnärztinnen und Zahnärzte, denn parodontologisch wird die „klinische Erreichbarkeit“ neben der Taschentiefe maßgeblich von der Anatomie der subgingivalen Zahn(wurzel)oberflächen sowie der Lokalisation des Zahnes/der Zahnfläche beeinflusst. Natürlich spielt auch die klinische Erfahrung der zahnärztlichen Behandler bzw. des nichtzahnärztlichen Fachpersonals eine wichtige Rolle. Es empfiehlt sich deshalb, die Grenzziehung einer Delegation der „Entfernung von erreichbaren subgingivalen Belägen“ praxisintern in Abhängigkeit von der Wurzelmorphologie (Wurzeleinziehungen, Furkationen), dem Vorliegen von Knochentaschen, von der Taschentiefe sowie von der klinischen Erfahrung der Fachkräfte festzulegen8.