AWMF lehnt eine Generalermächtigung des Bundesgesundheitsministeriums ab
Die AWMF nimmt mit Erstaunen zur Kenntnis, dass Gesundheitsminister Spahn nur wenige Tage vor der Anhörung am 16.01.2019 zum bereits am 07.12.2018 veröffentlichten Regierungsentwurf für das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) einen für die Sicherstellung der Qualität medizinischer Versorgung relevanten Änderungsantrag eingebracht hat. Auf einen dergestalt kurzfristigen Antrag können sicher viele Organisationen, die bereits regulär und fristgerecht ihre Stellungnahmen zum Regierungsentwurf abgegeben haben, nicht mehr schriftlich reagieren.
Inhaltlich sieht der Änderungsantrag (gekennzeichnet als Nr. 28) die Einführung eines §94a in das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) vor, durch den das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in die Lage versetzt werden soll, per Verordnungsermächtigung neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden unabhängig von einer Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in den Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufzunehmen. Explizit soll dies auch für Methoden gelten, deren Nutzen nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin noch nicht belegt ist oder die vom G-BA bereits abgelehnt wurden.
Die AWMF lehnt eine solche Generalermächtigung des BMG strikt ab, da sie:
- eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik untergräbt, für die sich die AWMF einsetzt
- den Umstand missachtet, dass das BMG bereits nach geltender Rechtslage im Einzelfall die Möglichkeit hat, eine Behandlungsmethode zur Kassenleistung zu machen, so dass Patientinnen und Patienten auch bei unsicherer Evidenzlage Zugang zu Leistungen im Rahmen des GKV- Katalogs gewährleistet werden kann
- geeignet ist, notwendige Studien zur Erprobung von Verfahren, die nach geltender Rechtslage vom G-BA zum Wohle von Patientinnen und Patienten initiiert werden können, zu verhindern.
Einer Aushebelung der Selbstverwaltung, vertreten im G-BA und gelebt in den dort maßgeblichen Stellungnahmeverfahren unter Einbeziehung der Wissenschaftlichen Medizin, vertreten durch die AWMF und der in ihr vernetzten 179 Fachgesellschaften, durch eine Generalermächtigung des BMG ist entschieden entgegen zu treten.
Zielführend im Interesse von Patientinnen und Patienten erscheint demgegenüber aus Sicht der AWMF, die aktuell sehr hohen Hürden für Erprobungsstudien, zu prüfen, die vom G-BA initiiert werden können.
Die Regelungen, denen der G-BA hierbei unterliegt, wurden vom BMG mitgestaltet.
Seit 2012 gilt §137e SGBV „Erprobung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“,
der dem G-BA erlaubt, bei gesehenem Bedarf ein Verfahren auszusetzen und eigene Studien zu initiieren. Keine dieser avisierten Studie ist bisher erfolgreich zum Abschluss gekommen.
Die AWMF regt deshalb an, die Anforderungen an den G-BA bezüglich Erprobungsstudien gemeinsam mit Vertretern von Selbstverwaltung und Wissenschaft unter Beteiligung des BMG zu überprüfen.
Dabei sollten auch verschiedene Studiendesigns und deren Realisierbarkeit kritisch diskutiert werden. Eine pragmatische, zügige und patientenorientierte Prüfung von Interventionen /Versorgungsleistungen im Rahmen adäquater und machbarer Studien ist anzustreben.
Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e. V. bündelt die Interessen der medizinischen Wissenschaft und trägt sie verstärkt nach außen. Sie handelt dabei im Auftrag ihrer 179 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Gegründet 1962 mit dem Ziel, gemeinsame Interessen stärker gegenüber dem Staat und der ärztlichen Selbstverwaltung zu positionieren, erarbeitet die AWMF seitdem Empfehlungen und Resolutionen und vertritt diese im wissenschaftlichen und politischen Raum. Die AWMF ist Ansprechpartner für gesundheitspolitische Entscheidungsträger, wie den Gemeinsamen Bundesausschuss, und koordiniert die Entwicklung und Aktualisierung medizinisch- wissenschaftlicher Leitlinien in Deutschland. Jede gemeinnützige Fachgesellschaft in Deutschland kann Mitglied werden, sofern sie sich wissenschaftlichen Fragen der Medizin widmet. Die AWMF finanziert sich vorwiegend durch die Beiträge ihrer Mitgliedsgesellschaften und Spenden.